Der Stuhlenhof, Bild: Isabel Plana

Ein Ort für Anfänge

Judith Aebli und Daniel Liechti bauern seit 34 Jahren an einem besonderen Ort. Dort, wo schon die Biopionierin Mina Hofstetter lebte und arbeitete und wo 1947 der Verein Bioterra, damals Genossenschaft für biologischen Landbau (GBL), gegründet wurde. Wir haben das Paar auf seinem Hof besucht.

Von Jeremias Lütold

Von Ebmatingen im Zürcher Oberland führt der Weg zum Weiler Stuhlen, etwas oberhalb vom Greifensee gelegen. An klaren Tagen sieht man von hier bis zum Säntis. Rund ums Haus verliert sich der Blick schnell zu den umliegenden Gärten, den nah weidenden Schafen und den nicht weit weg stehenden Folientunnels. 1988 wurden Judith Aebli und Daniel Liechti an diesem Ort sesshaft. Nach Wander- und Lehrjahren in Irland und in landwirtschaftlichen Betrieben in der Schweiz folgten die beiden dem Inserat eines Werner Hofstetter, das die Übernahme eines Gemüsebetriebes in Aussicht stellte. Das Inserat erschien in der Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für biologischen Landbau (SGBL), die später zum Magazin «Bioterra» wurde.

Werner Hofstetter, damals schon 76-jährig, hatte seinen Stand am Wochenmarkt auf dem 12 km entfernten Zürcher Bürkliplatz längst aufgegeben. Ab Hof wurden noch einige alte Stammkunden und Nachbarn mit Gemüse versorgt, das er und seine Frau Elisabetha auf wenigen Parzellen anbauten. Der Rest der Fläche war an einen benachbarten biologischen Betrieb verpachtet. Heute gehören wieder rund 5 ha zum Betrieb. Die Hofstetters bezogen nach der Übernahme den ausgebauten Dachboden im gemeinsam mit den neuen Pächtern bewohnten Haus. Judith Aebli und Daniel Liechti lernten Werner Hofstetter als Menschen kennen, der feste Überzeugungen in der Praxis und ebenso klare Weltanschauungen im Leben hatte. Von seiner direkten Verbindung zu den Anfängen des Biolandbaus in der Schweiz wussten die beiden zu Beginn aber noch nichts.

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Der Stuhlenhof in den 1960er-Jahren
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Der Stuhlenhof in den 1960er-Jahren, im Hintergrund der Greifensee.

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Unbekannte Mina

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«Als wir vor 34 Jahren auf den Hof kamen, war uns Mina Hofstetter kein Begriff», erzählt Judith Aebli. Werner Hofstetter habe zwar von der Mutter berichtet, die Hefte herausgegeben und Vorträge gehalten habe. Wie gross das Ausmass ihrer Arbeit und ihr Einfluss auf den biologischen Landbau war, begriffen die beiden erst bei einer Biokontrolle, als sie der Agronom Otto Schmid auf Mina Hofstetter aufmerksam machte. «Daraufhin begannen wir, mit der ganzen Verwandtschaft der Hofstetters Material zu sammeln», erinnern sich Judith Aebli und Daniel Liechti. Ein Teil dieser Recherchen wurde 1994, ein Jahr nach Mina Hofstetters 110-jährigem Geburtstag, in «Bioterra» veröffentlicht («Bioterra» 155, Sept./Okt., 1994, hier als pdf abrufbar). Die Geschichte von Mina Hofstetter ist eng verknüpft mit der des Vereins Bioterra. 1947 wurde oberhalb des Hofes in Stuhlen die Vorgängerorganisation Genossenschaft Biologischer Landbau (GBL) gegründet, aus der zunächst die Schweizerische Gesellschaft für biologischen Landbau (SGBL) hervorging, woraus sich in den 1990er-Jahren dann der Verein Bioterra entwickelte.

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Judith Aebli und Daniel Liechti
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1988 übernahmen Judith Aebli und Daniel Liechti den Hof, auf dem schon Mina Hofstetter gewirtschaftet hatte. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana

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Judith Aebli und Daniel Liechti führen zu fuchsfarbenen Engadiner Hausschafen am Steilhang gleich oberhalb des Wohnhauses und lachen bei der Frage nach dem Einfluss Mina Hofstetters auf ihre Arbeitsweise. Zentrales Element von Mina Hofstetters landwirtschaftlicher Praxis war es, den Betrieb ganz ohne Tiere zu führen und neue Wege in der Nährstoffversorgung der Kulturen zu erproben. «Wir haben hier unseren eigenen Weg gefunden. Das mussten wir auch, sonst hätte es damals nicht funktioniert», sagt Judith Aebli. Und erinnert sich an die Zeit, als sie und Daniel mit ihren eigenen Vorstellungen der biologischen Landwirtschaft nach Stuhlen gekommen sind. «Für uns war die Schafhaltung sehr naheliegend, haben wir doch mit den Tieren gute Erfahrungen in Irland sammeln können», ergänzt Daniel Liechti. «Auch wenn das Mina Hofstetter vielleicht anders gesehen hätte, für uns hat es gepasst», fügt Judith noch an.

Das Augenmerk lag aber bald auf dem Gemüseanbau, und so nahmen sie das Marktfahren nach Zürich wieder auf. Anders als Werner Hofstetter mit seinem Stand am Bürkliplatz zog es die beiden an den 2 km von dort entfernten Helvetiaplatz, wo sie bis heute jede Woche anzutreffen sind. Auf dem Markt bieten sie ausschliesslich eigenes Frischgemüse an, das sie lediglich während der Herbst- und Wintermonate durch in der Region zugekaufte Lagerkartoffeln und Lagergemüse ergänzen. Als voller Erwerbsbetrieb sind sie auf Mitarbeitende angewiesen, die bei der Bewältigung ihrer vielseitigen Produktion helfen. Auf über 1 ha wachsen auf den gedeckten Flächen und im Freiland rund 50 verschiedene Gemüsesorten als Frisch- und Lagerware sowie diverse Früchte und Beeren. «Eigentlich haben wir bis auf Schwarzwurzeln und Lagerkohl so ziemlich alles an Gemüse im Angebot», erklärt Daniel Liechti bei einem Gang durch die Reihen. In den Kräuterbeeten ziehen sie auch eher unbekannte Pflanzen wie die leicht nach Minze riechende Perilla, die in Japan Shiso genannt wird. Die Streuobstwiesen säumen Apfel-, Birnen-, Zwetschgen- und Nussbäume. Rund vier Hektaren kultivieren sie als extensive Wiesen, Dauerwiesen und Weiden sowie Kunstwiesen als Teil der Fruchtfolge. Aber nur einen Teil der Grünflächen nutzen sie für ihre Schafe. «Gute Erfahrungen haben wir mittlerweile mit dem grossflächigen Mulchen unserer Gemüsebeete gemacht», sagt Daniel Liechti.

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Zum Hof gehören Flächen, die seit 1921 biologisch und biodynamisch bewirtschaftet werden. Die Böden sind vollkommen belastungsfrei. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana
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Zum Hof gehören Flächen, die seit 1921 biologisch und biodynamisch bewirtschaftet werden. Die Böden sind vollkommen belastungsfrei. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana

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Fermentiertes Grüngut als Mulch

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Schon Mina Hofstetter habe vor rund 100 Jahren mit Mulchbeeten für ihr Getreide und Gemüse experimentiert, so Liechti weiter. Auf den gedeckten Flächen arbeiten Aebli/Liechti mit fermentiertem Grüngut als Mulch. Die Silage biete den Vorteil, die Eigenversorgung mit Stickstoff besser kontrollieren zu können. Für einen Gemüsebetrieb von grosser Bedeutung. Diese innovativen Methoden zur Verwendung des Schnittgrases helfen dabei, zur Nährstoffversorgung auf den intensiven Gemüsebauflächen beizutragen. Judith Aebli und Daniel Liechti haben mit Mina Hofstetter insofern gemeinsam, dass neue Ideen noch immer den Weg auf den Hof Stuhlen finden.

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Zurückhaltende Bodenbearbeitung

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Von der Innovationsfreude Mina Hofstetters zeugt eine Parzelle oberhalb des Hauses, die zu grossen Teilen von Wald umgeben ist. Über die dort angewandten Bearbeitungsmethoden schrieb sie 1929 in ihrem Essay «Der lange Acker». Dabei nahm sie die Perspektive des Ackers ein, der in der Ich-Form von den verschiedenen Arbeitsgängen berichtete. Das humorvoll geschriebene Manuskript stellt heute eine wichtige Quelle zum Verständnis der Arbeitsweise von Mina Hofstetter dar. Unter anderem erzählt der Acker von «pflugloser Bodenbearbeitung, von seltsam gesätem Getreide und von unerwartet spriessenden Feldfrüchten». Hinter den verwunderten Beobachtungen des Ackers steckten neuartige Ackerbaumethoden, die Mina Hofstetter ausprobierte und aus denen sie nach und nach ihr eigenes Anbausystem entwickelte. Beispielsweise säte sie das Getreide in Furchen von 35 cm Abstand zueinander, wie es beim Gemüse auch gemacht wird. Im darauffolgenden Frühling säte sie zwischen diese Reihen des jungen Weizens Karotten, die nach der Ernte des Weizens gleich eine zweite Ernte ermöglichten, ohne dass der Boden nochmals hätte bearbeitet werden müssen. Diese sogenannten Ackerbeet-Kulturen waren zu dieser Zeit kaum bekannt. Mit ihren Mischkulturen, der zurückhaltenden Bodenbearbeitung und ihrem Fokus auf die Bodengesundheit war Mina Hofstetter ihrer Zeit weit voraus.

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Wie zu Mina Hofstetters Zeiten werden auch Aebli/Liechtis von Mitarbeitenden bei der Feldarbeit unterstützt. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana
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Wie zu Mina Hofstetters Zeiten werden auch Aebli/Liechtis von Mitarbeitenden bei der Feldarbeit unterstützt. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana

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Geschichte der Veränderungen

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Werner Hofstetter stand seiner Mutter schon als Kind und Jugendlicher zur Seite und war in seiner Arbeitsweise stark von ihr beeinflusst. In den 1950er-Jahren passte er den Betrieb aber den Anforderungen seiner Zeit an. Wirtschaftete Mina Hofstetter noch als Kleinbäuerin auf verhältnismässig kleiner Fläche, baute er den Hof zum Erwerbsbetrieb aus. Mit dieser Umstellung fand auch die Zeit der landbaulichen Experimente ein Ende. Dennoch verwaltete Werner Hofstetter die Grundsätze seiner Mutter weiter und wandte sie in der Praxis an. Das Verhältnis von Judith Aebli und Daniel Liechti zu Werner Hofstetter wurde mit den Jahren ein sehr enges. Als er den Hof 2001 an die Pächter verkaufte, blieb er bis nach dem Tod von Elisabetha im Jahr 2002 in der Dachwohnung. 2010 zog er, 99-jährig, in ein vegetarisch und nach anthroposophischen Grundsätzen geführtes Altersheim.

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Aus dem idealistisch geführten Hof von Mina Hofstetter ist ein Bio-Gemüseanbaubetrieb geworden. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana
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Aus dem idealistisch geführten Hof von Mina Hofstetter ist ein Bio-Gemüseanbaubetrieb geworden. Fotos: Bioterra Archiv, Isabel Plana

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Belastungsfreie Böden

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Zum Hof gehören heute Flächen, die seit 1921 durchgehend biologisch und biodynamisch bewirtschaftet werden. Das machte den Betrieb unlängst für die Forschung interessant. In Zusammenarbeit mit der ETH und der staatlichen Forschungsstelle Agroscope konnten komplett belastungsfreie Bodenproben entnommen werden, was insbesondere im Mittelland nur selten anzutreffen ist. Judith Aebli und Daniel Liechti achten sehr darauf, dass dies auch in Zukunft so bleibt, und verzichten bei den meisten Kulturen auf den Einsatz von zugelassenen Fungiziden. Ihre Tomaten kommen ohne Kupfer aus, und wenn das Obst nicht schön genug für den Markt wächst, wird es eben zu Most verarbeitet.

Für die nahe Zukunft haben die beiden noch Projekte, die sie ausprobieren wollen. Beispielsweise die Begrünung der Fahrgassen in den Gemüse-Freilandflächen, eine verstärkte Mulchpraxis und eine reduzierte Bodenbearbeitung. Auch wollen sie das Wohnhaus umbauen, damit sie nach der bald absehbaren Pensionierung auch genug Platz für sich und ihre möglichen Nachfolger haben. «In fünf Jahren möchten wir eigentlich abgeben. Vielleicht finden wir jetzt über ‹Bioterra› eine Nachfolge», hoffen die beiden. Schön wäre es, so würde sich wieder ein Kreis schliessen.

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