Illustration Henggeler und Schmid, illustriert von Patrick Widmer

Silvia Henggeler und Otto Schmid - Schreiben im Duett

Jubiläums-Serie: Ende der 1970er-Jahre fanden sich die Hobbygärtnerin Silvia Henggeler und der Agrarwissenschaftler Otto Schmid zusammen. Nichts ahnend, dass sie mit ihrem Ratgeber «Biologischer Pflanzenschutz im Garten» ein Standardwerk schaffen würden. Seine Zeitlosigkeit verdankt es dem Ansatz, die Massnahmen nie losgelöst vom Gesamtbild zu sehen, mit Fokus auf Vorbeugung.

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Von Carmen Hocker
Illustration: Patrick Widmer

Beim Betreten der Wohnung von Silvia Henggeler in Meggen LU fällt der Blick auf den Balkon. Ein Sammelsurium an Töpfen steht darauf, in einem davon wächst Rosenkohl. Lachend erklärt die 92-Jährige, dass sie unter die «urban gardeners» gegangen sei. Die Röschen aus dem Laden schmeckten ihr nicht und zudem sei die Kohlpflanze doch auch sehr dekorativ. Schon Silvias Mutter war eine begeisterte Gärtnerin: «Sie gärtnerte, wie man das damals tat, spontan, mit sehr viel Bezug zur Natur.» In dieser Atmosphäre des Bewusstseins für die Zusammenhänge sei sie aufgewachsen. Als Silvia Henggeler heiratete, Mutter wurde und selbst einen Garten hatte, war für sie klar, dass sie ihn nur biologisch bewirtschaften wollte. So kam sie zur Schweizerischen Gesellschaft für biologischen Landbau SGBL, wie der Verein Bioterra bis 1992 hiess. Den zweiten Part des Autoren-Duos bildete Otto Schmid, Sohn einer Bauernfamilie aus dem Zürcher Oberland. Der heute 73-Jährige begann 1969 sein Studium der Agrarwissenschaften an der ETH Zürich. In der dortigen Biolandbau-Gruppe sagte ein Kollege zu ihm: «Es gibt da so einen Gärtner-Club. Lass uns den Präsidenten fragen, ob wir zu einer GV kommen dürfen.» Mit dem «Gärtner-Club» meinte er die SGBL, damaliger Präsident war Heinz Bertschinger, der dem Verein von 1960 bis 1985 vorstand. Sportlich, stets braun gebrannt und unglaublich begeisterungsfähig sei Heinz gewesen, erinnert sich Otto Schmid. Hocherfreut, dass endlich einmal junge Leute zur SGBL stossen wollten, nahm er die Studenten die ersten Jahre kostenlos als Mitglieder auf.

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Charisma und Herzblut

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Dass sich die Wege der Bioterra-Mitglieder Silvia Henggeler und Otto Schmid kreuzten, verdanken sie Heinz Bertschinger. In dessen Präsidialzeit fallen zwei Ereignisse, die zum Ausdruck bringen, wie engagiert er seine Überzeugungen vertrat. Als Anhänger der Lebensreform-Bewegung lebte er streng vegetarisch und setzte sich für eine «naturgemässe» Lebensweise ein. Den Einsatz von Chemie im Landbau lehnte der promovierte Ingenieur ab. Lebte er noch, hätte er wahrscheinlich auch letztes Jahr, im Vorfeld der Pestizid-Initiativen, das Wort ergriff en. Als 1963 im Kanton Zürich obligatorische Spritzungen im Obstbau per Gesetz verankert werden sollten, sprach er sich vehement gegen das «krank machende Gesundheitsgesetz» aus. Und lancierte in der Folge die Aktion «Giftfreies Obst». Mit dieser Obstvermittlungsaktion setzte er sich dafür ein, dass Biobauern ihre Früchte direkt an die Konsumentinnen und Konsumenten versenden konnten, wodurch die Bekanntheit und die Mitgliederzahl der Organisation stark zunahm. 1977 ging Heinz Bertschinger auf Silvia Henggeler zu und fragte sie, ob sie Interesse habe, unter dem Patronat der SGBL eine Kartei für biologischen Pflanzenschutz anzulegen. Da er wusste, dass sich auch Otto Schmid für das Thema interessierte, machte er die beiden miteinander bekannt: «Otto und ich wurden uns sehr schnell einig, und so konnten wir zügig mit den Layout-Arbeiten beginnen», erzählt Silvia von den Anfängen des Projekts.

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Cover des Buches «Biologischer Pflanzenschutz» von Schmid/Henggeler
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Das Buch von Silvia Henggeler und Otto Schmid traf Ende der 1970er- Jahre den Geist der Zeit und wurde in fünf Sprachen übersetzt. Zunächst erschien es 1979 im Aargauer Verlag Wirz, ab 1990 bei Ulmer, 2012 in 10. Auflage.

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Praktikerin und Theoretiker

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Als sich die beiden 1977 kennenlernten, standen sie an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben. Silvia Henggeler, damals 48, hatte fünf Kinder im Teenager-Alter. Zum Schreiben zog sie sich jeweils in ein kleines Zimmer zurück, in dem sie ihre Ruhe haben wollte: «Dass ich dort etwas ‹Seriöses› machte, haben meine Kinder natürlich nicht verstanden. Erst später staunten sie, was daraus wurde.» Der 29-jährige Otto Schmid hatte 1977 gerade seine Stelle als erster Biolandbau-Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL begonnen. Zu seinen Aufgaben zählte auch ein Beratungstelefon für Kleingärtner*innen, deren Anliegen und Erfahrungen in das Buch mit einflossen. Und wie sah die Zusammenarbeit in der Praxis aus? «Otto war der Profi, ich war der Zulieferer für die ‹donkey work›, die Eselsarbeit», sagt Silvia und lacht. Dem widerspricht Otto Schmid mit Nachdruck und erzählt, dass Silvia vieles, vor allem auch die ganzen Schreib- und Layout-Arbeiten, übernommen habe. Heute könne man sich das gar nicht mehr vorstellen. Für die erste Auflage, die 1979, nach rund zwei Jahren der Vorarbeit, erschien, wurde das Manuskript noch mit Tipp-Ex korrigiert. Zu dieser Zeit gab es verschiedene Schriften, aber kein Werk, in dem alles zusammenkam.

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Silvia Henggeler

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Die Mutter von fünf Kindern wurde 1929 geboren und eignete sich das Gärtnerwissen autodidaktisch an. Nachdem sie in den 1970er-Jahren zur Schweizerischen Gesellschaft für biologischen Landbau (SGBL) kam, engagierte sie sich bald als Kursleiterin in der Regionalgruppe Winterthur, wurde Vizepräsidentin von Bioterra und Mitglied im Stiftungsrat des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FIBL). 1985, als der Hof «Stampf» im Zürcher Oberland als Schenkung an Bioterra ging, wurde sie Präsidentin der Stiftung, um den Hof wieder aufzubauen und einen Pächter bzw. Käufer zu finden. Mit dem Erlös von fast einer Million Franken hatte die Organisation erstmals genügend Mittel, um auch Kurse und die Ausbildung der Kursleiter*innen zu finanzieren.

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Silvia Henggler, Bild: Bioterra Archiv

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Ein Kochbuch für den Garten

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Nach längeren Diskussionen war klar, dass eine Kartei nicht reichen würde, ein Buch sollte es werden. Und zwar eines mit Spiralbindung, damit man es wie ein Kochbuch mit in den Garten nehmen konnte: «Wir wollten über Mittel schreiben, die es zu kaufen gab, aber auch über all die kleinen Gülleli, die man selbst herstellen kann», erinnert sich Silvia Henggeler. Ihr Ansatz und die wichtigste Botschaft jedoch war, dass man die Mittel nie losgelöst von den Zusammenhängen im Garten sehen dürfe: «Krankheiten und Schädlinge zeigen an, dass das Gleichgewicht gestört ist», erklärt Otto Schmid und spannt den Bogen zu den Pestizid-Initiativen des vergangenen Jahres: «Leider ist es bei diesen Diskussionen fast nur um die Mittel gegangen und kaum um das Ganzheitliche!» Das Konzept des Buches basiert dagegen auf einer vorbeugenden Herangehensweise. Grundsätzliche Überlegungen zum biologischen Gleichgewicht und zur Bodenbearbeitung, gefolgt von der Biologie wichtiger Gartentiere und Nützlinge, stehen am Anfang des Buches. Erst danach werden Schädlinge und Krankheitsbilder beschrieben, wobei selbst hier die vorbeugenden Massnahmen immer vor den möglichen Mitteln genannt werden.

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Otto Schmid

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1948 in Uster ZH geboren, ist Vater von zwei Söhnen. 1969 begann er an der ETH Zürich ein Studium der Agrarwissenschaften. Da er in der Bioland-Gruppe aktiv war, kam er 1972 bereits als Student mit Bioterra in Kontakt. 1977 begann er als erster Vollzeit-Bioberater am FIBL. In den folgenden Jahren war er aktiv an der Erarbeitung von nationalen und internationalen Bio-Richtlinien beteiligt und arbeitete eng mit den verschiedenen Bio-Organisationen zusammen. Über 30 Jahre war er ausserdem Dozent für Biolandbau an der ETH Zürich. Seit seiner offiziellen Pensionierung im Jahre 2014 arbeitet er in einem kleinen Pensum immer noch für den Biolandbau und das FIBL.

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Otto Schmid

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Aus unterschiedlichen Quellen

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Das Besondere am Buch ist, wie das Wissen und dessen Vermittlung ineinanderfliessen. Traditionelles wie Klosteraufzeichnungen wurde mit dem modernen wissenschaftlichen Kenntnisstand verknüpft. Gelegentlich haben Silvia Henggeler und Otto Schmid Mittel auch selbst getestet. Mehrheitlich ging es jedoch darum, verschiedene Erkenntnisse zusammenzutragen und auf diese Weise einem interessierten Fach- und Laienpublikum zugänglich zu machen: «Wir wollten die konventionellen Methoden nicht grundsätzlich als böse darstellen», betont Otto Schmid ihre Philosophie. So sei auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungsanstalten in der Schweiz, Deutschland und Frankreich unerlässlich und wertvoll gewesen. Der Schlüssel beim biologischen Pflanzenschutz ist, die Biologie der Lebewesen gut zu kennen: Wann treten die Schädlinge auf, welche Wirtspflanzen haben sie und wann muss man folglich behandeln? sind Fragen, die dabei eine wesentliche Rolle spielen. Vieles haben sie dem Standardwerk des international  anerkannten Entomologen Paul Bovey entnommen, das 1967 in Lausanne erschienen ist: «La défense des plantes cultivées». Von Mina Hofstetters Buch «Neues Bauerntum, altes Bauernwissen» von 1942 wussten sie damals noch nichts. Interessanterweise propagierte die Autorin darin schon eine schonende Bodenbearbeitung und das Anlegen von Wildsträucherhecken für Nützlinge. Auch die «heilende» Wirkung von Lehmanstrichen, wie sie Silvia Henggeler und Otto Schmid in ihrem Buch für die Behandlung von Wunden an Obstbäumen empfehlen, war der Pionierin des biologischen Landbaus und Mitgründerin von Bioterra bekannt.

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Wir wollten über Pflanzenschutzmittel schreiben, die es zu kaufen gab, aber auch über all die kleinen Gülleli, die man selbst herstellen kann.
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Silvia Henggeler

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Ruhm und Ehren

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Anders als bei Mina Hofstetter, deren Bücher in Vergessenheit gerieten, wurde das Buch «Biologischer Pflanzenschutz im Garten» von Silvia Henggeler und Otto Schmid zum wahren Erfolg: 135 000-mal verkaufte es sich in deutscher und 30 000-mal in französischer Sprache. Die zehnte und bisher letzte Auflage erschien 2012. Nicht ohne Stolz bemerkt Otto, dass sie in den Anfangsjahren durch den Buchverkauf einiges an Tantiemen einnahmen. «Ja, ich habe mir damit eine Reise nach Australien finanziert!», fügt Silvia an und erklärt, dass dies für sie – als Hausfrau und Mutter – ihr erstes und einziges selbst verdientes Geld gewesen sei. Zudem sei das Buch in vier weitere Sprachen übersetzt worden: ins Italienische, Tschechische, Ungarische und Dänische. Wie viele Exemplare es dort waren, erfuhren sie allerdings nicht. Auch Tantiemen erhielten sie aus dem Ausland nie – mit Ausnahme von Frankreich. Nach den ersten drei Auflagen im familiär geführten Schweizer Wirz-Verlag kam eine Anfrage aus dem Nachbarland: Der renommierte Stuttgarter Verlag Eugen Ulmer zeigte Interesse an einer Übernahme. Mit dieser Chance, im ganzen deutschsprachigen Raum bekannt zu werden, war jedoch auch viel Recherchearbeit verbunden. Denn die Handelsnamen der Mittel in Deutschland und Österreich waren andere, auch wenn die Wirkstoff e dieselben waren. «Die Beziehung zum neuen Verlagshaus war freundlich, alles war ein Stück weit professioneller, aber es war eben ‹Business›, weniger Herzblut als zuvor», stellt Silvia rückblickend fest. Auch die geliebte und bewährte Spiralbindung gefiel dem Verleger nicht und wurde deshalb fallengelassen.

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Heinz Bertschinger

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Der promovierte Ingenieur war von 1960 bis 1985 Präsident von Bioterra. Mit der von ihm 1963 lancierten Aktion «Giftfreies Obst» gewann der Verein stark an Bekanntheit.

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Heinz Bertschinger

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Kommende Generationen

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Die Resonanz auf ihr Buch war durchweg positiv, im Grossen wie im Kleinen. Weil es ganz offensichtlich den Geist der Zeit traf. Themen wie Wirtschaftswachstum, Fortschrittsglaube und Massenkonsum wurden infrage gestellt. 1973 war das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FIBL gegründet worden, sieben Jahre später der Dachverband der Bio-Organisationen Bio Suisse. Auch im privaten Umfeld hallte das Buch nach, und die unangenehmen Fragen wurden mit der Zeit weniger. Silvia Henggelers Mann interessierte sich nie gross für die Thematik, liess seine Frau aber gewähren. Dafür seien heute all ihre Kinder sehr bio-affin, was nicht selbstverständlich sei. Auch Otto Schmid freut sich, dass einer seiner beiden Söhne den kleinen Landwirtschaftsbetrieb der Familie im Nebenerwerb biologisch weiterführt: «Er ist sehr engagiert, arbeitet mit Blühstreifen und ist, wie seine Partnerin, interessiert an Permakultur.» Überhaupt blickt Otto Schmid – trotz abgelehnter Pestizid-Initiativen – hoffnungsvoll in die Zukunft. Unabhängig von der ideologischen Ausrichtung würden sich die Forschenden wieder verstärkt für die Zusammenhänge interessieren, insbesondere für die Agrarökologie. Vor allem unter jüngeren Menschen sei die Offenheit für Themen wie Gründüngung, Mischkultur und Agroforstsysteme gross. Und dass mit der Urban-Gardening-Bewegung Gärten den Weg zurück in die Stadt finden, trägt auch zu mehr Verständnis für die Zusammenhänge bei. Denn kein Balkon ist zu klein, um nicht einer Kohlpflanze beim Wachsen, Gedeihen und vielleicht auch Angeknabbertwerden zuzusehen.

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Jubiläums-Serie

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Unser 75-Jahre-Jubiläum nehmen wir zum Anlass, unsere bewegte Geschichte zu reflektieren. In einer siebenteiligen Serie lassen wir jeweils rund ein Jahrzehnt Revue passieren. Dies bewusst etwas anders. Denn eine reine Ahnengalerie der Präsidentinnen und Präsidenten sollte es nicht werden. Auch von der Chronologie wollten wir uns nicht zu stark einschränken lassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine Auswahl an Menschen hervorzuheben. Menschen, die durch ihre Überzeugungen, Aktivitäten und Visionen das biologisch naturnahe Gärtnern gelebt und propagiert haben – oder dies noch immer tun. In allen Porträts spannen wir den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart.

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