Illustration Naturgärtner, illustriert von Patrick Widmer

Naturgärtner – Impulse mit Nachklang

Jubiläums-Serie: Andreas Keckeis spielte in seinem Garten, Daniel Brogle besuchte seinen zweiten Naturgarten-Lehrgang, und Clemens Bornhauser hatte die Aufgabe, seine Berufskollegen mit Bioterra zu einen. Drei Naturgärtner erinnern sich an Andreas Winkler sowie andere Pioniere der Naturgartenidee.

Von Carmen Hocker
Illustrationen: Patrick Widmer

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In Nachbars Garten zu spielen, kann aufregend und abenteuerlich sein. Weil es verboten ist oder weil es dort so viel zu entdecken gibt. Andreas Keckeis erinnert sich, wie er als Bub im heimischen Wängi TG Streifzüge durch Nachbars Garten machte. In einem besonderen Garten, denn er gehörte Andreas Winkler (1951– 1997), einem Schweizer Naturgartenpionier. Der freute sich über die Neugier des Buben, gab ihm Tipps zum Bau eines kleinen Gartenteichs und schenkte ihm die erste Pflanze dafür. Vielleicht waren diese frühen Kindheitserlebnisse ausschlaggebend, dass Keckeis eine Lehre als Landschaftsgärtner bei Winkler Richard Naturgärten im thurgauischen Wängi machte. Dass sein Ausbildungsbetrieb in der Gartenszene damals zu den «Exoten» zählte, wurde ihm erst in der Berufsschule bewusst, wo noch konsequent das konventionelle Gärtnern gelehrt wurde. Andreas Winkler war ursprünglich Chemielaborant, studierte Geografie und baute ein Landschaftsarchitekturbüro auf, samt Gartenbau und Wildstaudengärtnerei. Auch ein weiterer Naturgartenpionier war Quereinsteiger: der Solothurner Biologielehrer Urs Schwarz (1928–2020). Sein Buch «Der Naturgarten», das der WWF 1980 herausgab, erreichte eine Auflage von mehr als 100 000 Exemplaren. In einer Ausgabe der Bioterra-Zeitschrift von 1977, damals noch SGBL (Schweizer Gesellschaft für biologischen Landbau), ist in einem Bericht über eine Exkursion in seinen Wildgarten folgende These zu lesen: «‹Unkraut› ist alles, was fremdländisch und gezüchtet ist, ‹Kraut› hingegen sind alle einheimischen Arten.» Was damals ungemein provokativ klang, sei rückblickend notwendig gewesen, findet Gärtnermeister Daniel Brogle, der 1993 den zweiten Naturgartenlehrgang (NGL) bei Andreas Winkler an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wädenswil ZHAW besucht hat. Ökologische Zusammenhänge verstehen und in der gärtnerischen Praxis anwenden ist heute noch erklärtes Ziel dieser Weiterbildung an der ZHAW. Inspiriert durch diese Zeit, entwickelt Daniel Brogle heute als Schlossgärtner den Landschaftspark Arenenberg am Bodensee biologisch und naturnah weiter. Zusammen mit der NGL-Klasse besuchte Brogle damals ein Seminar bei Urs Schwarz. Kernpunkt war, nach einem Hausbau die natürliche Sukzession zuzulassen, abzuwarten, welche Vegetation sich von selbst ansiedelt. Das führte zu philosophischen Überlegungen, wie man Garten und Natur definiert – und ob man von Umwelt oder besser Mitwelt spricht, da wir alle Teil vom Ganzen sind.

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Titelbild naturwärts 1995
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Rückeroberung – Titelbild der 1. Ausgabe des VNG-Naturgartenmagazins «naturwärts» 1995.

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Im historischen Kontext

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«Mir ist es ein Anliegen, die Aussagen von Urs Schwarz zeitlich einzuordnen», so Landschaftsgärtner und -architekt Clemens Bornhauser, der von 2008 bis 2015 die Bioterra-Fachstelle leitete. Seine Aufgabe war es, den Zusammenschluss vom Verein Bioterra und dem Verband Natur Garten VNG organisatorisch zu begleiten: «In den 1970/1980er-Jahren gab es in 99 % der Privatgärten nur «Abstandsgrün» – kleine, lieblos bepflanzte Aussenflächen – oder überpflegte Gärten. Dazu einen Gegenpol zu setzen, war wichtig und wertvoll.» Impulse zu geben, sei die grosse Leistung dieser Epoche gewesen: Die ersten Naturgärtner*innen zeigten, wie sich ein Garten im Einklang mit der Natur gestalten lässt, wie heimische Flora und Fauna auch im Siedlungsraum gefördert werden kann. Was Clemens Bornhauser dagegen bis heute ärgert, ist die Tatsache, wie hartnäckig sich eine Vorstellung hält, die wohl auf das Gedankengut von «radikal» denkenden wie Urs Schwarz zurückgeht: Im Bestreben, der Natur wieder Raum im Garten zu geben, würden Naturgärtner* innen die Bedürfnisse von Flora und Fauna über jene des Menschen stellen. «Für mich ist das ein liebgewonnenes altes Vorurteil, das schon seit den 1990er-Jahren nicht mehr haltbar ist», so Bornhauser. Schwarz auf weiss ist dies auch im ersten Buch von Andreas Winkler «Der andere Naturgarten» von 1986 zu lesen: «Es ist nicht das Ziel des Naturgartens, alle Flächen in ein paradiesisches FreilandÖkomuseum umzugestalten, in dem der Mensch die Entwicklung der Natur nur stören würde (...) – wenn der Mensch seine Gärten nur passiv beobachtet statt aktiv erlebt, dann verfehlt die Naturgartenidee ihre Ziele.»

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Vor 40 Jahren gab es in 99 % der Privatgärten fast nur kleine, lieblos bepflanzte Aussenflächen. Dazu einen Gegenpol zu setzen, war wichtig.
Source
Clemens Bornhauser

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Die Schweizer Naturgartenbewegung

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Timeline Naturgartenbewegung

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Ausbildung mit Ausstrahlung

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Charismatisch sei Andreas Winkler gewesen, erinnert sich Daniel Brogle an seinen damaligen Lehrer: «Es faszinierte mich, wie er sich frei von jedem Chauvinismus für die Sache engagierte und zu begeistern verstand.» Im NGL habe Daniel Brogle plötzlich Zusammenhänge zwischen Boden, Dünger und Pflanze verstanden. Alles Themen, die in der klassischen Meisterausbildung an der traditionellen, konventionell ausgerichteten Gartenbauschule Oeschberg nur getrennt voneinander gelehrt wurden. Durch die anthroposophische Weltanschauung seiner Familie geprägt, hatte er das Gefühl gehabt, dass es zwischen Himmel und Erde doch noch mehr geben müsse als Gärtner, Kunstdünger und Pflanzenschutz. Immer mehr vertiefte er sich in die neue Materie und absolvierte 1999 den Kurs für Bioterra-Kursleiter an der Landwirtschaftsschule Baselland, wo damals schon biologisch gearbeitet wurde. Die befruchtenden Ideen nahm er zurück in den Thurgau an die noch konservative Landwirtschaftsschule Arenenberg. «Ich gärtnere viel in den Köpfen der Menschen», erklärt er schmunzelnd, um zu veranschaulichen, wie er beharrlich über Jahrzehnte darauf hinarbeitete, nicht nur in der Schule das biologisch naturnahe Gärtnern zu etablieren, sondern auch bei der Pflege und Entwicklung des Landschaftsparks. Als Angestellter des Kantons Thurgau hat er bestimmte Vorgaben zu respektieren. Innerhalb dieser Grenzen bewegt sich der leitende Gärtner spielerisch: «Laut Paragraf darf ein Zaun beispielsweise einen Meter hoch sein. Es steht aber nichts darüber im Gesetz, ob ich den Zaun unten offen lassen darf, damit Igel hin- und herspazieren können», veranschaulicht er seine Herangehensweise.

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Es ist nicht das Ziel des Naturgartens, alle Flächen in ein paradiesisches Freiland-Ökomuseum umzugestalten.
Source
Andreas Winkler

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Ein offener Mediator

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Als sich die Mitglieder des VNG 2008 entschlossen, sich mit Bioterra zusammenzuschliessen, wurde eine Fachstelle geschaffen, die zuerst in die Hände von Barbara Merz gelegt wurde – sie kam vom VNG. Anschliessend übernahm Clemens Bornhauser: «Ich hatte allerdings unterschätzt, dass es weniger um Organisation als um Mediation gehen würde», erinnert er sich lachend. Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen zusammenzubringen, ist ein Prozess mit Reibungspunkten. So konnten manche Naturgärtner nicht verstehen, warum der Gemüseanbau bei Bioterra solch einen hohen Stellenwert hatte, denn ihnen lag vor allem der Umweltschutzgedanke am Herzen. Und manchen Biogärtner*innen war die rein naturgärtnerische Perspektive auf die Gestaltung von Grünräumen fremd. Einen Grund für diese Dissonanz sieht Clemens Bornhauser in den Anfängen von Bioterra. Schliesslich war der Verein ursprünglich eine rein landwirtschaftliche Organisation, deren Nutzgarten- Tradition in den Regionalgruppen bis heute weiterlebt. Trotz verschiedener Ansichten sei es aber immer um die Sache gegangen. Auch nach den leidenschaftlichsten Diskussionen habe man sich letztendlich wieder zusammensetzen können.

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Timeline Naturgartenbewegung

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Richtlinien als Leitfaden

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Heute zählen 72 Naturgartenbaubetriebe zu Bioterra. 2008 gab es deren 42. Die Richtlinien für die Zertifizierung stammten noch aus VNG-Zeiten. Da zeitgleich die Biogärtnereien zu Bioterra stiessen, galt es, auch hier gemeinsame Grundlagen zu schaffen. Ein Knackpunkt dabei war die Produktion von Wildpflanzen. Die Richtlinien von Bio Suisse, nach der die Biogärtnereien arbeiteten, waren zum Beispiel weniger streng in Bezug auf die Verwendung von Torf. In der Jungpflanzenkultur waren noch 20 % zulässig. Schliesslich konnten sich die Naturgärtner mit einer strengeren Richtlinie durchsetzen: 1. Für die Anzucht von Wildpflanzen in Bioqualität ist kein Torf nötig. Und 2. würde man nicht ernst genommen werden, ginge man wider die eigenen Überzeugungen solch einen Kompromiss ein. Wie ein roter Faden zieht sich Konsensfindung bei Bornhauser durch die sieben Jahre als Fachstellenleiter: «Wenn ihr als Naturgärtner auch noch im Jahr 2020 eine Bedeutung haben wollt, ist eine Wachstumsstrategie – ein Werben um neue Fachbetriebe – unerlässlich!», proklamierte er überzeugt. Damit stiess er nicht bei allen auf Gegenliebe. Obwohl es erklärtes Ziel war, den Naturgartengedanken weiterzutragen, hatten einige Bedenken. Je grösser etwas werde, umso mehr bestehe die Gefahr der Verwässerung. Womöglich würden die Neuen die Naturgartenidee nicht mehr so konsequent verfolgen und beispielsweise vermehrt Zuchtstauden oder gar fremdländische Gewächse pflanzen. Sanft, aber bestimmt wies Bornhauser die Skeptiker darauf hin, dass ihre Definition von Naturgarten ihre ganz persönliche sei. Und dass eine Generation folgen werde, die nicht einfach imitieren würde, was vorher gemacht wurde, sondern die Raum brauche, den Naturgarten für sich selbst neu zu definieren.

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Die Bioterra-Szene ist so facettenreich wie ein Naturgarten.
Source
Andreas Kekeis

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Timeline Naturgartenbewegung

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Bioterra-Fachbetriebe: Naturgarten-Richtlinien in Kürze

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Die Betriebskultur umfasst Grundsätze der Nachhaltigkeit aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Sicht:

  • Schaffung von Lebensräumen für einheimische Pflanzen- und Tierarten
  • Vernetzung und Vergrösserung naturnaher Flächen innerhalb und ausserhalb des Siedlungsgebietes
  • Orientierung am Menschen und Förderung des Erholungs- und Erlebniswertes des Freiraums
  • Betrachtung des Gartens als Kulturgut
  • Schonung der Ressourcen, auch in Bezug auf den Bau und die Materialien

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Optimistisch und vertrauensvoll

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Wo steht die Naturgartenbewegung nach fünfzig Jahren? Ist sie eine Erfolgsgeschichte? Daniel Brogle berichtet von einem Mitarbeiter, der sich Ende des Jahres als Naturgärtner selbstständig machen werde. Mit einer Breite an Wissen, die ihm grosse Freude mache, ganz im Sinne eines «jardinier complet», der sich für Wild- und Zierpflanzen ebenso interessiert wie für Gemüse und Obst. «Solche Naturgärtnernde sind kein Einzelfall.» Auch die positive Resonanz auf die letztjährige Pressekonferenz am Arenenberg zum Thema Biodiversität hätte er sich in seinen Anfängen als Schlossgärtner nicht träumen lassen. Mit namhaften Vertreter*innen aus Politik und Landwirtschaft! «In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich auf politischer und gesellschaftlicher Ebene sehr vieles bewegt», stimmt Clemens Bornhauser zu. Auch er betrachtet das Glas nicht als halb leer, sondern als halb voll. Auf einer Bird-Life-Führung entgegnete er deshalb Teilnehmenden, die sich um die Zukunft der Flora und Fauna extrem besorgt zeigten: «Habt Vertrauen und Zuversicht. Die Dinge lassen sich nicht innerhalb einer Generation ändern, aber der Wandel hat schon vor langer Zeit begonnen. Wir sind auf einem guten Weg.»

Ein Zeichen der Sensibilisierung sei auch, dass viele Menschen realisierten, warum naturnahe Pflege mindestens so entscheidend wie der Bau eines Naturgartens sei. «Für mich ist es am schönsten, wenn die Kundschaft beginnt, sich selbst für das Thema zu begeistern», merkt Andreas Keckeis dazu an. Denn der Bau eines Naturgartens sei nur ein Startschuss. Ob er sich vielfältig entwickelt, hängt massgeblich von der Begleitung der Pflanzengemeinschaften ab. Vorbildcharakter hätten deshalb Gemeindeflächen, die artenreich umgestaltet werden. Sie könnten zu einem Sinneswandel beitragen. Im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit bei Bioterra sieht sich Andreas Keckeis als Vermittler zwischen den verschiedenen Kreisen der Bioterra-Szene, die so facettenreich ist wie ein Naturgarten. Das wäre sicherlich im Sinne von Mina Hofstetter, der Mitbegründerin von Bioterra. Obwohl sie aus der Landwirtschaft kam, war der Naturgartengedanke für sie auch im Gemüsegarten präsent. Um eine Balance zu fördern, war die Pflanzung einer Hecke mit gemischten Wildgehölzen für sie schon eine Selbstverständlichkeit. Balance dank Vielfalt – wohl die grösste Herausforderung unserer Zeit. Nicht nur bei Bioterra oder in der Natur, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Mit dem Akzeptieren unterschiedlicher Meinungen und dem Respektieren verschiedener Bedürfnisse lässt sich im Kleinen und Grossen noch viel mehr bewegen.

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Jubiläums-Serie

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Unser 75-Jahre-Jubiläum nehmen wir zum Anlass, unsere bewegte Geschichte zu reflektieren. In einer siebenteiligen Serie lassen wir jeweils rund ein Jahrzehnt Revue passieren. Dies bewusst etwas anders. Denn eine reine Ahnengalerie der Präsidentinnen und Präsidenten sollte es nicht werden. Auch von der Chronologie wollten wir uns nicht zu stark einschränken lassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine Auswahl an Menschen hervorzuheben. Menschen, die durch ihre Überzeugungen, Aktivitäten und Visionen das biologisch naturnahe Gärtnern gelebt und propagiert haben – oder dies noch immer tun. In allen Porträts spannen wir den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart.

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