T E S S I N E R G A R T E N Das Rustico mit fantastischer Aussicht auf den See. Renato Bonetti forschte nach, was in der Gegend früher angebaut wurde, was sich bewährt hat und was nicht. Vo n Ute Stude r Auf den Hügelterrassen oberhalb von Gambarogno, mit fan- tastischem Blick auf Locarno, den tiefblauen Lago Maggiore und den Firn der Alpen, liegt der Garten von Renato Bonetti und seiner Frau Monique. Bei meinem Besuch erwarten mich die beiden mit einem Begrüssungsgeschenk: ein grosser Fei- genblattkürbis, den der Hausherr gerade geerntet hat. «Klei- nes Haus mit viel Land» nennt er die 2006 erworbene Caset- ta Capra, ein Rustico im Dörfchen Vairano. Renato Bonetti, vielen Bioterra-Mitgliedern als Kursleiter bekannt, hat seine Wurzeln im Tessin, Monique in der West- schweiz. Der Vater von Renato stammt aus dem Nachbardorf Piazzogna; die Verwandten betrieben dort Nebenerwerbsland- wirtschaft mit Kühen, Reben und Kastanien. Auch Renato Bonetti besitzt neben dem Rustico vom Vater geerbtes Land, rund 2000 m2. Von seinem Onkel lernte er den Umgang mit der Tessiner Sense; bis heute mäht er die Naturwiese im Au- gust nach alter Väter Sitte. Was er als Kind über den Anbau auf dem terrassierten Gelände gelernt hatte, erweiterte er im Laufe der Jahre mit grossem Interesse an der Kulturgeschich- te seiner Heimat. Er forschte nach, was in der Gegend früher angebaut wurde, was sich bewährt hat und was nicht. Schon seit vielen Jahren arbeitet er mit Pro Specie Rara zusammen und ist am Erhalt alter Sorten beteiligt. Anders als in seinem Einfamilienhausgarten in Winznau SO hat er hier sauren Boden, teils Fels, teils sehr humos, aber auch feucht, und dann auch extrem trocken an sonnenexponierten Lagen. Über die Jahre hat Bonetti ausgeklügelte Anbausysteme entwickelt, vor allem auch, weil er nur alle zwei bis drei Wochen nach dem Rechten sehen kann. Sein Motto: Was kommt, das kommt! Und es kommt vieles. Eine Besonderheit muss beim Anbau berücksichtigt werden: Von Ende November bis Feb- 2222B I O T E R R A 5 / 2 0 1 5 E R R A 1 / 2 0 1 5 ruar trifft den Garten kein Sonnenstrahl; er liegt im Berg- schatten, und der Boden bleibt lange gefroren. Beim Rundgang durch den Garten begleitet uns der Ge- sang vieler Vögel. Ein Grünspecht hämmert an einem Baum und eine Schwanzmeise beäugt uns argwöhnisch aus der Hecke. Neben der Magerwiese plätschert ein kleiner Bach, gesäumt von Kopfweiden. Beim Näherkommen verschwindet eine Zornnatter im Gebüsch. «Die faucht manchmal ganz bissig, ist aber harmlos», sagt Bonetti und zeigt gleichzeitig auf seine Wasabikultur neben dem Bach. Dieser asiatische Rettich hat gut überwintert und sich prächtig entwickelt. Geerntet wird er wie Meerrettich. Mauereidechsen und Sma- ragdeidechsen sonnen sich auf den Steinen. Wir naschen ein paar köstliche Himbeeren und schnuppern an diversen Min- zen, denn unter jedem Obstbaum hat Bonetti eine andere Sorte angepflanzt. In diesem Paradiesgärtlein scheint es alles zu geben: eine Wildfruchthecke, Rosen, Beeren, Trauben, Obst, Gemüse, Getreide, Blumen und sogar «Exoten» wie Oliven und Nespole. EIN MAISFELD IN MISCHKULTUR MIT BOHNEN Die Arbeitsteilung bei den Bonettis ist klar: Er ist verantwort- lich für den Anbau der Gewächse, sie für deren Verarbeitung. Dabei kann Monique Bonetti auf eine enorme Vielzahl an Zutaten zurückgreifen, denn ihre beiden Gärten sind im wahrsten Sinne Experimentierfelder. Dazu gehört auch der Rheintaler Ribelmais, der zurzeit so hoch ist, dass er weit über unsere Köpfe ragt. Diese alte Mais-Sorte aus dem Schwei- Die einheimische Schwarze Königskerze.